Wofür Greta steht. Und weshalb die Bewältigung der Klimakrise nur über eine umfassende Modernisierung greifen kann.

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Für die Atlantik Überquerung wählte der deutsche Skipper Boris Herrmann eine südliche Route nach Amerika, damit ihnen nicht die ganze Zeit der Wind ins Gesicht bläst. Es reicht wohl vorläufig, wenn von Achtern gnadenlos der mediale und soziale Shitstorm hinterher donnert. Es ist allerdings noch nicht ausgemacht, ob es den Seglern vielleicht doch gelingen mag, am Ende eine Art virtuellen Spinnaker zu setzen, um darüber noch mehr Fahrt in Richtung New York aufzunehmen. Aber zu solchen Finessen der Segelkunst kommen wir erst später.

  1. Protest und Pappkartons

Der eine Beweggrund, weshalb die Klima-Aktivistin Greta Thunberg so sehr ein Ärgernis ist, und Empörung auslöst, von weit rechts bis weit links, wie auch in der Mitte, ist einigermaßen banal darstellbar.

Wenn Kids mit Pappkarton Schildern eine soziale Bewegung von internationalen Dimensionen auslösen, dann orten die Lordsiegelbewahrer der bestehenden Ordnungsstrukturen akuten Kontrollverlust. Zu Recht. Wenn diese Kids dann auch noch ein ewiges Durchhänger-Thema wie die „Klimakrise“ („Wir brauchen jetzt noch eine Konferenz!“) völlig respektfrei ‚re-framen‘, also vereinnahmen und zu einem Weltthema machen, dann fühlen sich die wohl etablierten Zwischenrufer der letzten 30 Jahre, von links bis rechts, plötzlich ihres symbolischen Kapitals beraubt. Wiederum zu Recht. („Der Kaiser ist nackt. Er hat keine Kleider an.“)

Aber dies erklärt nur die halbe Empörung all jener, die neuerdings immer den vollen Namen buchstabieren, also Greta Thunberg sagen, und nicht einfach Greta, um dann noch irgendwelche psychiatrische Diagnosen hinterher zu schleudern.

Die Überfahrt Gretas nach Amerika hat aber noch eine viel härtere Symbol-Komponente, und jetzt erst kommt das Boot ins Spiel.

Die „Malizia“, von ihren Eignern übersetzt als „the Cunning One“, gebaut 2015, ist nicht irgendein von Windkraft angetriebener Kahn. Dieses Boot ist eine High-Tech Ikone. Von den Verbundmaterialien des Rumpfs, damit dieser den Ozeanen und Strömungen standhält, egal wann und bei welcher Witterung, über die Solaranlage für die autonome Energieversorgung bis zur Elektronik, die von Navigation bis – das unterstelle ich mal – zu jedem Setzen eines Segels jedes Detail perfekt abstimmt.

Das Boot ist bescheidene 18,28 Meter lang, doch ragt der Mast mit 29 Metern um mehr als die Hälfte höher gegen den Himmel. Bei durchschnittlichem Wind werden zwischen 240 und 330 Quadratmeter Segel gesetzt. Bei Wind von Achtern (von hinten) zwischen 460 und 620 Quadratmetern. Um das deutlich zu machen frage ich Sie, liebe Leserin, lieber Leser rundheraus: Wie groß ist Ihre Wohnung?

Diese Kombination von technischen Merkmalen erlaubt es der Yacht Malizia, selbst den sie antreibenden Wind zu überholen. Weht dieser mit 22 Knoten, flitzt das Book mit 25 Sachen vorne weg.

Für die Symbolik von Gretas Reise haben diese bislang wenig beachteten Elemente nämlich ungeheure provokative Sprengkraft.

  1. Modernisierung, nicht Retro!

Die Wende in der Klimakrise wird nämlich keine Retro-Aktion sein (Motto „Wir müssen verzichten!“), wenn sie denn gelingen soll. Vielmehr braucht es mit aller Dringlichkeit eine Modernisierung der Gesellschaften, welche jene aus dem Zeitalter der Eisenbahnen im 19. Jahrhundert und die jüngste, noch gar nicht verdaute der Digitalisierung seit dem späten 20. Jahrhundert verblassen lässt.

Das Motto für die Konfrontation mit der Klimakrise lautet vielmehr: Wir müssen sehr vieles anders machen! Nicht überall gleich, weil das nicht funktioniert. Nicht überall gleichzeitig, weil unterschiedliche Regionen ganz andere Herausforderungen haben. Schon gar nicht sollten wir uns diese Modernisierung als einen blinkenden Ingenieurstraum vorstellen, in dem Bill Gates, Mark Zuckerberg und ein paar Super-Politiker uns raushauen wie in einem Marvel Comics. Aber Technologie wird eine zentrale Rolle spielen. So wie beim Bau bahnbrechender Segelschiffe seit Jahrtausenden.

Und es ist auch stimmig, dass die schulstreikenden, von Greta inspirierten Kids eine soziale (und keine technische oder intellektuell getriebene) Bewegung gestartet haben. Denn im Sozialen liegt die Kraft, um derlei in Bewegung zu bringen und zu gestalten.

Wenn es nun ans konkrete Detail geht, dann betrachte ich weniger die große globale Ökonomiem, oder die Technik, sondern den schmalen, mir besser vertrauten Zwickel von Buch und Verlagen. Das erlaubt mehr Schärfe in den Betrachtungen.

Auch wenn es hier um die große Zukunftsfrage nach Nachhaltigkeit geht, gab es in den vergangenen Monaten eher weniger hilfreiche Beiträge aus dem Buch-Bereich. Gestritten wurde etwa, ob neue Bücher auch künftig in Plastikfolie eingeschweißt werden sollten. „Das Ringen der Branche mit der Einschweißfolie“, lautete die dramatische Überschrift im Branchenmagazin „buchreport“. ( Und im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels stritten der Kritiker Rainer Moritz und der Buchhändler Thomas Mahr, ob es zu viele Naturbücher gibt, oder ohnedies alles knorcke sei.

Bei allem Respekt für die Wohl-Meinenden in Sachen Literatur: So wird das wohl eher nix mit einer angemessenen Antwort der Buchbranche auf Greta und die Kids mit ihren Papp-Schildern vor den Schulen, und mit Blick auf die Zukunft der von der Klimakrise bedrohten Welt.

Fündig werde ich indessen bei Kelvin Smith, dem ehemaligen Direktor des Centre for Publishing an der englischen Oxford Brookes University. In einem dicht mit Querverweisen gespickten Blog Beitrag stellte er – das ist so seine Art – recht systematisch entscheidende Schritte entlang der gesamten Wertschöpfungskette des Buch-Betriebs auf den Prüfstand, in seinem Abschnitt „Some questions“.

Muss Publishing immer höhere Raten an Neuerscheinungen hervorbringen? Geht es tatsächlich primär um ‚mass consumption‘? Oder wäre vielleicht ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Neuerscheinungen (und ‚Markt‘) sowie andererseits Bestandstiteln (‚Bibliotheken‘) vorstellbar? Gibt es andere Geschäftsmodelle? Wie steht es um Lese-Kompetenz in der gegenwärtigen Gesellschaft, mit Blick auf Immigration? Was können Verlage und Bibliotheken hier leisten? Ist das bestehende protektive Urheberrecht wirklich das einzig akzeptable Modell, oder könnte es auch einen sinnvollen Mix mit ‚Commons‘ Modellen geben? Genau, es geht um konkrete Dinge, hier und jetzt, in der Nähe, aber dann ebenso im grundsätzlichen Gesellschaftsentwurf, als Prüfstand für Politiker und Parteien, die gewählt werden wollen. Klein-klein und groß-groß liegen eng beieinander – und werden darüber auch überprüfbar!

Ich habe im deutschen Sprachraum noch keine ähnlichen Überlegungen gefunden! (Kelvin Smith‘ Blog ist auf https://pointofpublishing.com/ )

  1. Greta. Sailing.

Wenn Greta im Segelboot zur UN Konferenz nach New York fährt, ist das keine Retro Geste, ganz im Gegenteil. Es gibt weit entwickelte Konzepte, große Container Schiffer mit zugeschalteter Windkraft über die Weltmeere zu bringen.

Wiederum in meinem kleinen eigenen professionellen Bereich verstehe ich nicht, warum Leute Tage und Kosten vergeuden, mit Bahn und Flugzeug durch die Lande zu kurven, wenn eine ordentlich eingerichtete Video-Conferencing Anlage bei zahllosen Routine-Meetings dieselbe Kommunikationsqualität leisten kann, ohne die Kosten, jedoch vorausgesetzt, dass jemand anfangs alles einrichtet, auf die Mikrofone verweist, die Kamera und die Bildschirme umsichtig ausrichtet, und die Session so moderiert, dass alle an Bord sind. Zauberwerk! Und schon sind Tonnen von CO2 gespart, vorausgesetzt dass alle vor den diversen Bildschirmen auch ordentlich Wasser, Kaffee oder Tee bekommen!

Greta hat indessen noch den halben Atlantik vor sich auf ihrem eher engen Boot. Aber bis zum Einlaufen in New York könnte noch ordentlich Drive ihr Vorsegel aufblähen. Denn das Ereignis ihrer Ankunft in Amerika könnte monumentale Wirkungsmacht entfalten.

Die gesellschaftlich gespaltenen USA sind gerade wieder hoch sensibel, wenn es um symbolisch aufgeladene Bedeutungserzeugnisse geht. Ein Jahrzehnt von Super-Helden Verfilmungen haben das Publikum ebenso geprägt wie die Suche nach Orientierung mit Blick auf eine Zerreißprobe bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr, im November 2020.

Zeitgerecht zum gerade anlaufenden Vorwahlkampf wird Greta in New York einsegeln. Der neue Star des liberalen politischen Amerika, Alexandria Ocasio-Cortez, hat Greta unlängst zu einem Mediengespräch getroffen, und ihr versprochen: „If you land in New York, we will give you a Queens’ welcome!“

Ein fulminantes „Welcome“ kann New York City allemal in Szene setzen, mit Feuerwerk über der Freiheitsstatue und großem Corso!

Ein erfolgreicher Kampf zur Überwindung der Klimakrise wird ein moderner sein – oder eine klägliche Katastrophe. Gretas Reise nach New York steckt da ein erstes Wegstück der Strecke ab.

@GretaThunberg #Greta #Modernisierung #Klimakrise

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